Am 14. Oktober hielt der bekannte Sport-und Gesundheitsexperte Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln als Gastredner in Bocholt vor 300 Bürgern einen formidablen Vortrag mit dem Titel „Gesundheit und Fitness fängt vor der Haustür an!“. Neben einem Appell an jeden Einzelnen, für ausreichend Bewegung zu sorgen, forderte er besonders die Verantwortlichen der Kommunen und Städte auf, so zu planen und zu bauen, dass Bürger unbewusst zu körperlicher Aktivität angeregt werden.
„Unbewusste Bewegungsräume“ nennt Froböse das und meint damit gut beleuchtete Stadtparks, sichere, attraktive Radwege und öffentliche Plätze und Orte, die Kreativität und Neugierde bei Jung und Alt wecken. Die ganze Stadt als potentieller Spiel- und Sportplatz sozusagen.
60 Prozent der Deutschen sind übergewichtig
Die Segnungen moderner Technik sieht Froböse aus medizinischer Sicht durchaus kritisch. Ob Fernbedienung, Fahrstuhl, Rolltreppe, Smartphone-Apps zur Steuerung von Rollläden und Essensbestellung, generell der Trend zum barrierefreien Bauen: Technik vereinfache vermeintlich den Alltag, fördere zugleich aber die Trägheit der Leute, weil immer mehr kurze Gänge und Bewegungen erspart blieben. Mit messbaren Folgen: Fast 60 % der Deutschen sind laut Studien zu dick oder zumindest über Normalgewicht.
Diejenigen, die Ausgleich in Bewegung und Sport suchen, machen das laut Froböse immer seltener in „organisierten Strukturen“, also in Sportvereinen oder Fitnesscentern. Laufen, radeln, schwimmen, wandern, Inline, skaten usw. – über 50 Prozent der Menschen treiben individuell Sport. Im Park, auf der Straße, einfach vor der eigenen Haustür. Diesem Trend müssten Stadtplaner gerecht werden, so Froböse: „Bewegung muss normal werden und unbewusst stattfinden. Dabei geht nicht nur darum, Krankheiten zu verhindern, sondern biologische Bedürfnisse nach Bewegung zu erfüllen. Sie wissen ja: Langläufer leben nicht länger, sie sterben nur gesünder.“
Denn, so der Experte, der Mensch an sich sei ein bequemes Wesen: „Wenn sie die Körperzelle fragen, ob die sich bewegen will, dann winkt die ab: ´Nee, lass´ mal, verbrauche ja Energie!´“ Mit kleinen Tricks könne man auch Bewegungsmuffel auf Trab bringen. Etwa die Aufmerksamkeit auf die Treppe neben dem Fahrstuhl lenken („Nehmen Sie die Treppe und verbrauchen Sie 5 Kalorien“), oder an der Bushaltestelle für einen flotten Spaziergang bis zum nächsten Stop werben. Froböse nannte viele einfache Beispiele aus dem Alltag, die mit wenig Aufwand und Kosten umsetzbar sind. Die Zuhörer spürten: Was es braucht, ist oft bloß Aufmerksamkeit und Kreativität. „Den Dackel auf Krankenschein, das würde ich mir wünschen!“, meinte Froböse launisch, als sich der Hund einer Passantin im Saal verirrt hatte.
Moderates Training bewirkt viel
Seine Botschaft war letztlich ein großes Plädoyer für den bekannten Slogan „Jeder Gang macht schlank.“ Rund 2.000 Kilokalorien müsse ein Erwachsener im Durchschnitt pro Woche verbrennen, um Herzkrankheiten vorzubeugen, rechnete Froböse vor. Auf die individuelle Dosierung komme es an. Ziel sei eine „subjektive Unterforderung“. Übersetzt heißt das: Moderat trainieren, und zwar so, dass man danach sagen könne: „Ich fühle mich gut, ich fühle mich fit – das mache ich morgen wieder!“
Schon wenig kann viel bringen. Es muss nicht bis zur Erschöpfung trainiert werden. So reichen laut Froböse schon 40 Prozent Bewegung aus, um positive Effekte für Gesundheit und Wohlbefinden zu erzielen. Der Kölner Mediziner empfiehlt das sog. Alltags-Trainings-Programm (ATP), um auf schnelle und effektive Weise Schwung in den Alltag zu bringen (Infos siehe https://www.aelter-werden-in-balance.de/atp/) .
Obst und Wasser im Betrieb
Prof. Dr. Katja Petrowski von der Universität Witten/Herdecke richtete in einem zweiten Fachvortrag den Fokus auf die Arbeitswelt. Ein Blick darauf lohnt, schließlich finde mehr als 40 % Aktivität auf der Arbeit statt. Auch hier gelte es, Möglichkeiten für Ausgleich und Bewegung zu schaffen. Obstkörbe, Wasserspender, eine aktive Mittagspause etwa seien Angebote, die erprobt seien und deren Kosten überschaubar blieben.
Dass solche Gesundheitsangebote im Betrieb gut ankommen, wusste Isabel dos Santos aus der Praxis zu berichten. Sie ist Gesundheitsbegleiterin bei der Firma Tekloth in Bocholt und kümmert sich dort ums Wohlergehen der Mitarbeiter. Bei Tekloth gibt es z.B. Obst und Wasser für alle Beschäftigen, auch Fahrradleasing ist dort möglich. Dos Santos versichert: „Es funktioniert wirklich.“
Ein weiteres Beispiel für kommunale Gesundheitsangebote ist das Gesundheitszentrum im Bocholter Stadtteil Spork. Der Verein “Leben im Alter” bietet dort unter wissenschaftlicher Begleitung Dienste aus dem Bereich Sport, Gesundheit und Prävention an, die auf die Bedürfnisse der Bürger zugeschnitten sind. Sie sollen insbesondere älteren Bürgern helfen, möglichst lange mobil und eigenverantwortlich im gewohnten Umfeld zu leben.
„Verwaltungen müssen schneller und flexibler handeln“
Ludger Triphaus, Kämmerer der Stadt Bocholt und Steuerer des Projekts „Zukunftsstadt 2030+“, sagte abschließend: „Eine Verwaltung muss heutzutage flexibler und handlungsschneller werden, sonst wird man den Herausforderungen der Zukunft nicht mehr gewachsen sein.“
Prof. Dr. Volker Rittner, Berater der Stadt Bocholt beim Projekt „Zukunftsstadt 2030+“, betonte: „Gesundheit ist nicht nur Sache von Medizinern. Es ist Angelegenheit der Stadtplanung und Stadtentwicklung, denn es geht dabei nicht nur um Sport.“