Bundesweite Befragung zur Einstellung von Stadtverwaltungen zu informellen Bürgerbeteiligungsverfahren

Bild Aasee Bocholt

Der folgende Beitrag stellt die wissenschaftliche Sicht der Begleitforschung durch die Bergische Universität Wuppertal mit dem Institut für Demokratie und Partizipationsforschung IDPF dar.

Autor:

Dr. Volker Mittendorf / Institut für Demokratie und Partizipationsforschung


Bundesweite Befragung zur Einstellungvon Stadtverwaltungen zu informellen Bürgerbeteiligungsverfahren

Im Rahmen des Fona-Projektes: Zukunftsstadt Bocholt – Atmendes Bocholt – Bewegtes Bocholt 2030+ wurden vom Institut für Demokratie und Partizipationsforschung (IDPF) der Bergischen Universität Wuppertal bundesweit 400 Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern angeschrieben, um die Projektergebnisse zu Bocholt in einen bundesweiten Rahmen stellen zu können.  Die dritte Phase des Zukunftsstadt Wettbewerbs war in Bocholt durch einen Schwerpunkt in der Reallabor-Erprobung repräsentativerer Partiziaptionsformen geprägt. Annahme des IDPF war dabei, dass die Ergebnisse der städtischen Entwicklung zielgenauer sind, wenn Bürgerinnen und Bürger in die Planung regelmäßig, frühzeitig und umfassend in Form von informellen Beteiligungsverfahren einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund wurden verschiedene Beteiligungsformate, darunter das vom IDPF moderierte Bürgergutachten auf Basis von Planungszellen, in Bocholt durchgeführt. Darüber hinaus wurde anhand von qualitativen, leitfadengestützten Interviews ein Fragebogen entwickelt, mit Hilfe dessen verschiedene Typen von Einbindung infomeller Verfahren in Städten mit größerer Validität herausgearbeitet werden sollten.

Forschungsergebnisse

Auf Grundlage der qualitatitiven Vorbefragung im Rahmen der leitfadengestützten Interviews mit Personen, die in ihrer jeweiligen Verwaltung für Fragen informeller Bürgerbeteiligung zuständig sind, ergab sich, dass Verwaltungen sehr unterschiedliche Leitbilder von informeller Bürgerbeteiligung haben. Es ließ sich relativ leicht schließen, dass Bürgerbeteiligung eine große positive Konnotation erfährt, die sich bei den befragten Verwaltungsmitarbeitenden vor allem aus einer positiven Einstellung zum demokratischen politischen System der Bundesrepublik Deutschland speist zusammen mit der Annahme, dass zu einer Demokratie eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern gehöre. Zudem seien Gemeinden der Ort, an dem diese Beteiligung am stärksten erfahren werden könne.

Gleichzeitig zeigte sich jedoch auch, dass konkrete inhaltliche Deutungen dieses Beteiligungsbegriffes in einer großen Bandbreite vorkamen. Diese reichten von vor allem an lokalen Parteien orientierten Beteiligungsmöglichkeiten über eine transparente Information der Betroffenen, einer möglichst breiten Information der breiten Bürgerschaft bis letztlich zu offenen Beteiligungsansprüchen, bei denen die Planung von Ergebnissen der informellen Verfahren (dem Anspruch nach) abhängig gemacht wurde (im Sinne einer partnerschaftlichen Kooperation).

Generell zeigte sich, dass die Beteiligungsansprüche durchaus noch an den Kategorien der “Ladder of Participation” zugeordnet werden konnten. Diese “Leiter” wurde bereits 1969 von Sherry S. Arnstein postuliert und bezog sich seinerzeit auf kommunale Planungsprozesse in den USA. Hier stehen die Planungs- und Beteiligungsleitbilder in sieben, aufeinander aufbauenden Stufen über die drei Qualitäten von “Non-Participation” (reines Manipulieren oder Belehren) über symbolische Beteiligung (Informationen und symbolische informelle Formate) bis hin zu ausgeprägter Mitentscheidung (Kooperation oder direktdemokratische Ergebnisfestlegung). Die meisten Beteiligungsansprüche bewegten sich – jedenfalls bezogen auf das Leitbild – im Bereich von Information über symbolische Beteiligung bis hin zu Kooperation mit verbindlich fixierten Präferenzen aus der Beteiligung (ein verbindliches Agendasetting ließ sich in 12,1 % der Antworten feststellen, für Ergebnisse traf dies auf lediglich 5 Kommunen, 2,2 %, zu).

Darüber hinaus bestand die Annahme, dass Bürgerbeteiligung entsprechend der verschieden gestalteten Verwaltungsaufgaben, die in Verwaltungen bestehen, generell durch drei Rollenzuweisungen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Stadt geprägt sind: Bürgerinnen und Bürger als Klienten (d.h. als Betroffene von Verwaltungakten), als Kunden (d.h. in Form einer Dienstleistung) und als mitgestaltende Ressource öffentlicher Aufgaben (d. h. als mögliche ehrenamtliche Mitgestalter oder als Kooperationspartner).

Entsprechend dieser Annahmen wurden die Fragebatterien des Fragebogens erstellt.

Im Ergebnis hatte die Befragung einen über erwartet guten Rücklauf von 223 Fragebögen (knapp 55,8 %). Dabei zeigt sich, dass – offensichtlich aufgrund unterschiedlicher Verständnisse von Bürgerbeteiligung – bestimmte Fragebatterien ausgefüllt wurden und andere offen gelassen wurden. Die entsprechenden Missing cases zeigen bei näherer Betrachtung ein Muster auf, mit dem sich die Hypothese, der Fragebogen sei möglicherweise zu lang gewesen, ausschließen lässt. Die Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt, jedoch gezielt Fragebatterien ausgelassen. Die Hypothese, diese Fragebatterien seien möglicherweise unpassend formuliert oder nicht beantwortbare Fragen gewesen, ließ sich aufgrund des sehr unterschiedlichen, nicht frageabhängigen Auftretens nicht beantworteter Fragen ausschließen. Dies entspricht in Folge der
Anlage des Fragebogens in Bezug auf unterschiedliche Leitbilder den zu erwartenden Ergebnissen.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein Bild, dass das im Anschreiben genannte Verständnis von informeller Bürgerbeteiligung in unterschiedlicher Intensität von den Verwaltungen unterstützt wird. Mit 115, d.h. 51,5 % der Antworten, sehen die Verwaltungen einen Mehrwert informeller Beteiligung. Die antwortenden Verwaltungen verfügten allesamt über Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungsverfahren.

In 20 % der Fälle war mit einem im Haushalt vorgesehenen Budget für informelle Bürgerbeteiligung eine Verstetigung festzustellen.

Am Beispiel Bocholt zeigte sich, dass solche Ansprüche einer mitentscheidenden Partizipationsform in großer Abhängigkeit der politischen Legislative sowie der gewählten Verwaltungsspitze und deren Wertevorstellungen stehen. Angestrebte kooperative Ansätzen können durch eine Kommunalwahl durch ein geändertes Beteiligungsverständnis vor Herausforderungen gestellt werden.

Ausblick

Weitere Auswertungen werden im Sommerhalbjahr 2023 stattfinden. Hier soll geprüft werden, welche Charakteristika die verschiedenen Verwaltungstypen auszeichnen.

Insgesamt zeigt sich, dass in den Verwaltungen durchaus eine breitere Informationsdiffusion stattfinden kann, um die positiven wie negativen Erfahrungen, welche die Gemeinden mit den unterschiedlichen Partizipationsformaten und der unterschiedlichen Tiefe der Verankerung von Beteiligungsverfahren im Verwaltungsalltag machen und gemacht haben, zur nachhaltigen Anpassung an zukünftige Veränderungen zu verwenden.

Weiterführende Hinweise

Der Zwischenbericht ist unter folgendem Link verfügbar: https://idpf.uni-wuppertal.de/de/projekte/zwischenbericht-veroeffentlicht. Ein weiterer Artikel zur vertieften Auswertung steht kurz vor der Vervollständigung und wird im Laufe des Sommers ins Peer-Review-Verfahren gegeben.